Donnerstag, 1. August 2019

Der Polizist...

Wir saßen in der kleinen aber feinen Fußgängerzone von Canoa Quebrada, nahe Fortaleza, in einem Restaurant direkt an der Straße. Ein Mann am Nebentisch, ungefähr so alt wie wir, sprach uns ziemlich offensiv an, erzählte, dass er aus Rio sei und mit seinem Sohn Urlaub mache. Er hatte irgendwie auch schon eins, zwei Bierchen vorher, dachten wir bei uns. Als wir unsere Getränke bekamen kam ein anderer Mann die straße entlang und sprach unseren redseligen Nachbarn an. Kurze Zeit später sah ich wieder hin und da stellte der Rio-Mann gerade den anderen an die Wand gegenüber und tastete an ihm herum. Zunächst sah es so aus wie ein kleiner Quatsch unter Freunden, bis ich dann doch die Bedienung fragte: der andere Mann war ein Einheimischer, der dem Rio-Mann ein bisschen Gras verkaufen wollte, nur unglücklicherweise war der Rio-Mann, ja genau, Polizist. Bemerkenswert war, wie verzweifelt und ergeben der Einheimische, immerhin einen Kopf größer als der Polizist, war und dieser zudem unbewaffnet und in Flip-flops war. Dennoch legte er sich nach der Durchsuchung ängstlich auf den Boden, ließ zu, dass der Polizist seinen Fuß auf ihn stellte und ihn immer wieder anblaffte. Immer mehr Leute bekamen die Situation mit, aber nur ein, ebenfalls eher abgerissen aussehender Einheimischer sprach den Polizisten an und beschwerte sich über dessen übertriebenes Verhalten. Dann ging der Polizist auch ihn plötzlich an, es flogen ein paar Fäuste und der Polizist riss dem anderen das Shirt runter. Der Störer flüchtete und der Polizist legte kurz seine Sachen auf dem Tisch neben uns ab, darunter der Corpus delicti: vielleicht ein briefmarkengroßes Päckchen Cannabis. Kurze Zeit später kam der Störer zurück und mit wütendem Entschlossenheit sprang er auf den Polizisten zu und es wurde richtig handfest, der Tisch neben uns flog um, die Bierflasche und -glas zerschepperten auf dem Boden. Unsere Kinder in Schockstarre, der Sohn des Polizisten, mittlerweile auch da, den Tränen nah, bis einige Passanten dazwischen gingen. Der Delinquent: geflüchtet. Vereinzelt wurden Stimmen der umstehenden Leute gegen den Polizisten laut. 10 Minuten später kamen dann zwei einheimische Polizisten, grüßten sich militärisch, der Chefpolizist tätschelte männerhaft den Sohn des Rio-Polizisten, dass er doch eine spannende Geschichte erlebt habe (die Saat ist gelegt).
Aus dieser komprimierten Situation konnte man einiges über Brasilien lernen. Der Polizist trat mit einer beeindruckenden Konsequenz auf, war er doch im Urlaub, ohne Waffe und in Flip-flops und irgendwie auch ziemlich allein gegen die beiden anderen Hauptakteure und das Publikum drumherum. Dennoch zog er sein Ding voll durch und wich auch bei der Prügelei nicht zurück. Scheinbar eine harte Schule als Polizist in Rio. Es wird aber auch deutlich, mit welcher Herablassung er den Dealer behandelt, ob nun Polizist vs. Krimineller oder auch Weiß vs. Schwarz. Was wir vorher schon häufiger gehört und gelesen haben finden wir irgendwie bestätigt und die Beschreibung als „Freund und Helfer“ oder Ordnungshüter ist hier nicht passend. Eher staatliche Autorität! Dem Dealer stand die ganze Zeit die Verzweiflung und Angst ins Gesicht geschrieben, sicherlich auch ob einer düsteren Vorahnung was ihm blühen würde. Und das wegen eines kleinen Häufleins Cannabis. Die Aktion des Störers zeigte Mut und Wut gegen ebendiese staatliche Autorität. Gerade hier im Nordosten, wo sehr häufig „Lula Livre“ Plakate zu sehen sind und damit die politische Haltung gegen die momentane autoritäre Staatsführung deutlich wird. Ob in dieser Situation Politik bewusst eine Rolle spielte, ist natürlich nicht klar, aber die Stimmen des Publikums gegen den Polizisten spricht bände. Nun möchte ich nicht das Dealen bagatellisieren, gerade vor dem Hintergrund, dass in diesem Milieu das größte Gewaltpotential steckt. Aber in diesem Fall wäre ein bisschen mehr Augenmaß angebracht, gerade in einem alten Hippi-Dorf, in dem in den Strandbars Bob Marley Konterfeis hängen, Reggae Musik den ganzen Strand beschallt und hin und wieder verräterischer Duft sich mit der Seeluft vermischt. 
Natürlich kann man das Verhalten des Polizisten auch nicht generalisieren. Aber vieles ließ sich hier ablesen, was in Brasilien anders ist als in Deutschland und vielleicht auch ein bisschen schief läuft.



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