Donnerstag, 20. Februar 2020

Chile.

Wenn man darüber sinniert, wie man diese knapp 5 Wochen in diesem wunderschönen Land zusammenfassen soll, ohne sich im Kleinklein zu verlieren und trotzdem einen Überblick über die Vielfalt zu geben, scheint dies fast unmöglich. Aber nur fast, denn mutig werde ich mich dieser Verantwortung stellen und für die (bedingt interessierte) Nachwelt ohne chronologische Abfolge einfach mal drauflos erzählen...

In Santiago:
Die Pousada von Ignacio ist klein und gemütlich und hat eine Besonderheit. In das kleine Frühstücksräumchen passen eigentlich nur 5 Leute. Und so sitzt man dann mit einem Argentinier und einer Chilenin beim Frühstück beisammen und schwadroniert auf spanisch über die Weltpolitik (dass auch ich da mit Portugiesisch-Spanisch-Transfer einigermaßen mitkomme hätte ich vor einem Jahr nie für möglich gehalten) und bekommt die ein oder andere Sichtweise und Erklärung über Land und Leute mit. So zum Beispiel zu den Unruhen in Chile. Wir hatten dazu auch am Vortag einen Taxifahrer gefragt, wie es um die Unruhen im Land stehe und wie er die Entwicklung beurteilt. Er antwortete sehr einsilbig und verwies darauf, dass er Venezolaner sei, was aber nicht bedeutet, dass er sich nicht für Politik interessiere, sondern dass er angesichts der dortigen Lage die Proteste in Chile als "worüber jammert IHR eigentlich" deklassiert, wozu dann auch der Kommentar meiner sehr geschätzten und politisch interessierten venezolanischen Schwägerin passte: "Welche Proteste in Chile?"
Ungeachtet dessen ist Santiago (und auch Valparíso) eine spannende Stadt. Schön kann man nicht unbedingt sagen, aber mit ihren Bergketten um und den Hügeln in der Stadt sowie ihrer mit einigen netten Kolonialbauten gespickten Innenstadt sowie einem interessanten Künstlerviertel, ist sie im Vergleich zu unserer temporären Wahlheimat auf den ersten Blick schon schöner, bzw. man muss die schönen Ecken nicht so lang suchen, wie in SP. Die Wunden, die die Unruhen hier geschlagen haben, sind jedoch allgegenwärtig und wenn sogar kleine Lebensmittelläden zerstört werden, macht sich diese "Sozialrevolte" irgendwie unglaubwürdig. Übrigens war um die Weihnachtszeit relative Ruhe in der Stadt, denn auch die Revolutionäre wollen natürlich schön Weihnachten zu Hause feiern...

Aber Stadt bleibt Stadt, vor allem in Südamerika. Am Ende unserer Zeit in Chile bekam ich noch mal bestätigt, was ich ja auch schon immer wusste: Ohne Natur wäre das Leben ein Irrtum (frei nach Nietzsche) - und um dies noch mehr zu würdigen lebe ich ironischerweise ja auch gerade in einer 20-Mio.-Metropole. Von Natur hat dieser Teil Südamerikas bekanntermaßen eine ganze Menge. Angefangen bei den Vulkanen, die überall das Terrain überragen. Wunderschöne Berg- und Seenlandschaften, die manchmal an die Alpen erinnern (sie heißen ja auch teilweise "Chilenische Schweiz"), jedoch nur ein Bruchteil der Besiedlungsdichte haben und dadurch einfach wilder und ursprünglicher wirken. Wälder, in denen teilweise jeder Baum mit Moos bewachsen ist und dessen Dichte und Üppigkeit (oder Üppizität?) eine märchenhafte Atmosphäre herzaubern. Ein besonderes Highlight waren die Gletscher bei El Calafate auf der argentinischen Seite Patagoniens. Die Größe, das Farbenspiel, die bizarren Formen: sowas hatten wir bisher noch nicht gesehen. Aber auch die Fahrt durch die Pampa (man muss einen Teil der Strecke auf argentinischer Seite fahren) hatte etwas Überwältigendes, allein ob der unendlichen, menschenleeren und windgepeitschten Weite dieser Landschaft, die hier und da lediglich von Lamas und kleinsten Siedlungen belebt wird.
Auch die Landschaft weiter gen Süden, gen Südpol kann man ja fast schon sagen, denn Punta Arenas ist immerhin die südlichste Großstadt der Welt, hat es in sich. Natürlich Torres del Paine, aber auch andere, unbekanntere Gebiete entlang der Magellanstraße. Und das Klima hat es ebenfalls bisweilen in sich. Wir hatten in den insgesamt knapp 5 Wochen lediglich zwei bis drei richtige Regentage und im Durchschnitt 18° C. Also super! Nur einmal wurde ein Ausflug zu einer Pinguin-Insel auf der Magellanstraße abgesagt, trotz Sonnenschein. Eine Stunde später wussten wir warum: Strömender Regen mit Graupel, Sturm und das Thermometer fiel innerhalb einer halben Stunde von 16° auf 3° C.

Auch wenn wir mit insgesamt 4500 km eine beachtliche Strecke zurückgelegt haben, hat dieses Entlangreisen wirklich Spaß gemacht. Lediglich auf die mitunter katastrophalen Straßenverhältnisse kann man bisweilen verzichten. Wenn man an einem Tag 150 km Schotterpiste mit Schlag-Kratern bei max. 60 km/h stundenlang entlangrumpelt, ist es schon etwas ermüdend. Aber auch dies ist Ausdruck der Abgeschiedenheit dieser Region, was sich übrigens auch in geografischen Bezeichnungen niederschlägt. Die Hauptstraße gen Süden nennt sich irgendwann "Ruta del fin del mundo" und ohnehin scheint alles irgendwie vom Teufel gemacht: Boca-(Maul), Quebrada-(Bruch), Frutilla-(Erdebeere)-del-diablo sind nur einige Beispiele. Zwischendurch passiert man Orte, wie Ultima Esperanza (Letzte Hoffnung) oder Pior es Nada (Schlimmer ist nichts).

Diesen dramatischen Bezeichnungen steht eine überaus schöne und interessante Gemeinschaft von Menschen - Einheimische und Reisende - gegenüber. Vom Fahrrad-Abenteurer, der sich über tausende Kilometer durch die Anden quält und dabei dem ständigen Wind trotzt, bis hin zu einem netten deutschen Ehepaar, die mit ihrem Unimog-Luxusmobil im Wert von mindestens 350.000,- Euro dieselbe Strecke mit etwas mehr Komfort bewältigen. Oder der Besitzer eines traumhaften Campingplatzes mitten im Wald, der nicht nur leckeren selbstgebackenen Kuchen hatte, sondern uns auch half, die Stützstange des Wohnmobils zu richten (leider erfolglos). Die Stange, die bis zu 3 Tonnen tragen kann, hatte ich vergessen einzufahren und bin einfach losgefahren - schön doof. Einige Tage später fanden wir in Punta Arenas eine Werkstatt, die uns helfen konnte. Nach einer halben Stunde ging ich mal in der kleinen zugemölten Werkstatt nachschauen, ob es voran ginge. Und da saßen dann ganze 6 (!) Mechaniker, also eigentlich die ganze Belegschaft, um eine Hydraulikpresse herum und versuchten mit Bunsenbrenner, Geduld und Man-Power im Schweiße ihres Angesichts in diesem kleinen stickigen Räumchen diese Stange zu richten. Nach mehr als einer Stunde waren sie tatsächlich erfolgreich und bei diesem Aufwand war uns der Preis dafür auch mittlerweile egal. Nach einigem überlegen, womöglich um des Abwägens willen, ob er vielleicht zu dreist forderte, gab uns der Chef eine Rechnung: 13.000,- Ch.-Pesos. Das sind umgerechnet 15,- Euro! Dies war uns nicht nur total unangenehm, sondern es bietet auch eine Erklärung dafür, warum die Menschen hier hin und wieder ihren Unmut auf der Straße kundtun, wenn Man-Power in diesem Land so wenig wert ist.
Eine nette Bekanntschaft machten wir mit einer Schweizerisch-Chilenischen Familie am Lago Yelcho. Die Kinder hatten Jemanden zum Spielen und wir zum Pisco trinken. Eines Abends gingen die Kinder mit Angeln zum Strand. Steffen, der Schweizer, erzählte uns, dass er extra für den Urlaub Angeln für die Kids gekauft hatte - eher als Spielzeug. Beim Kauf bat er extra um besonders schlechtes Material, bzw. Köder, weil er keine Ahnung vom Angeln und keine Lust hat, so ein armes Tier am Ende vielleicht sogar töten zu müssen. Keine 10 Minuten später kamen die Kinder vom See zurück - mit einem Fisch an der Angel. Der größte Albtraum wurde wahr und da standen wir Experten nun. Meine Angelerfahrung beschränkte sich ja auch nur auf Piranhas, die ich aber aus Sicherheitsgründen nicht selbst abnehmen durfte. Wie wir uns dann anstellten, will ich hier lieber gar nicht ausführen. Später erfuhren wir dann, dass der Lago Yelcho zu den weltbesten Fliegenfischerrevieren gehört, ein beliebtes Reiseziel für Hollywoodgrößen ist und für Robert Redford die Inspiration für den Film "Aus der Mitte entspringt ein Fluss" war. Na gut, da findet auch ein blinder Angler mal einen Fisch.

Insgesamt war dieser Urlaub ein phantastisches Naturerlebnis, welches wir auf diversen Wanderungen erfahren durften und mit unzähligen Panorama-Fotos in unser Gedächtnis gebrannt haben. Tja, und wie mein guter Freund Ronny Descartes in seiner Erkenntnistheorie treffend vermutete: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei! Und so beginnt nun wieder unser Alltag. Aber welch ein Glück, temporär auf diesem Kontinent zu leben.

Über Santiago 

Über Santiago

Streetart

Streetart
Body-Art

Eingriff im Hospital Kidzandia 


Valparaiso



Valparaiso


Heiligabend in Valparaiso
Heiligabend in Valparaiso



Heiligabend in Valparaiso




Chiles größter Wasserfall: Saltos del Laja

Pucon - Los ojos del Caburgua

Pucon - Los ojos del Caburgua

Pucon - Villarica
Pucon - Los ojos del Caburgua

Sicherheit geht vor

Salto das Cascadas 




Vulcano Osorno

Vulcano Osorno

Wir und Osorno

Chiles größtes Canopy: 11 Tirolesas mit bis zu 300 m Länge
und zwischendurch in 100 m Höhe über ein Tal hinweg

Canopy mit Juli

Über dem Lago Yelcho

Mit SUP auf dem Lago Yelcho

Lago Yelcho

Das Graue ist eine riesige Schlammlawine, die vor einigen Jahren das Tal und die halbe Kleinstadt verschüttet hat.

Meterdicke Geröllschicht mit Fahnen, die eine verschüttetes Haus markieren

Carretera Austral, die Hauptstraße gen Süden - hier mal asphaltiert
Die Regel ist Autobahn aus Schotter


Felswand mit urzeitlichen Handabdrücken (vorn rechts Mitte sieht man einen rotbraunen)

Schulbank drücken in den Ferien

Marmorhöhlen im Lago General Carrera

Marmorhöhlen im Lago General Carrera

Kind schmeißt Vater von Hängematte

Netter Chilene hilft beim Stangenbiegen

Respekt!

Landschaft mit Brücke

Kleinstsiedlung inmitten der Pampa (der echten Pampa)
Kleinstsiedlung in der Nähe von Grevesmühlen - äh - El Calafate


Viel Leben gibt's hier nicht in der Pampa...

...aber viel Platz

...und Wind
und Lamas.


Glückseligkeit

angstfreie Tiere

Emily und Legolas (Lena hat ihn ganz zufällig auf dem Bild)


Glaciar Spegazzini - ein Naturwunder

Die Begeisterung ist nicht gespielt!

Glaciar Perito Moreno - ein Naturwunder II



Torres del Paine

Torres del Paine

Magellan-Bier...
...an der Magellanstraße

Sicherung der Magellanstraße


Humboldt-Schüler mit Humboldt-Pinguinen (kurz vor Feuerland)