Dienstag, 9. Februar 2021

Anachronistisches Reisen und immer mindesten zwei Seiten der Medaille

Neues aus Brasilien? Ja, in der Tat, denn hier ist die Corona-Lage unübersichtlich, aber vergleichsweise liberal. Wochentags sind wir derzeit „Gelb“, ab 20:00 Uhr und an Wochenenden „Rot“, was sich aber  täglich ändert. Wie auch die Bestimmungen für die Schule. Ob die Mutation aus Amazonien sich bedrohlich verbreitet, wird nicht ganz klar, wie auch der Fortschritt beim Impfen. Kurzum: ein ziemliches Durcheinander, was aber bei 30°C und relativer Bewegungsfreiheit ganz gut auszuhalten ist. Und zu diesen vorteilhaften Freiheiten gehört zweifelsfrei das recht unbegrenzte Reisen. Aber Corona ist dann auch der Hauptakteur der ersten Kehrseite der Medaille, die diesem Post den Titel gibt. Corona hatte Mitte Dezember meine Eltern heimgesucht  - glücklicherweise mit nur leichten Symptomen – weshalb sie Weihnachten nicht nach Brasilien kommen konnten. Daraus ergab sich erst recht das Bedürfnis, rauszukommen. Und dem ließen wir Taten folgen:

Minas Gerais

Wie der Name schon sagt, ist das Schürfen in und auf der Erde seit Jahrhunderten Kernstück dieses Landstrichs – mit all seinen positiven wie negativen Folgen. Zweifellos positiv sind die hübschen Städte, wie Ouro Preto. Welch Augenweide für das hier in Brasilien oft von Beton und baulicher Willkür traktierte Auge. Der schnelle Reichtum durch Gold ließ ein schönes Städtchen in den Bergen entstehen, was sich unter anderem dank UNESCO erhalten hat. Aber natürlich lernt man auch vor Ort beim Besuch der Minen einzuschätzen, unter welch brutalen Bedingungen dies Kleinod erschaffen wurde…

Eine weitere Augenweide ganz in der Nähe ist der Kunstpark Inhotim. Ein Park, wie ich ihn auch angelegt hätte und Kunstinstallationen, die uns ansprachen, bisweilen sogar beeindruckten. In direkter Nachbarschaft dann aber Brumadinho: Bekannt geworden durch den Dammbruch einer Eisenmine vor zwei Jahren, bei dem 270 Menschen fahrlässig getötet wurden und ein ganzer Landstrich vergiftet worden ist.

Den letzten Teil in Minas verbrachten wir in der Serra do Cipó, ein Naturschutzgebiet mit schönen Wasserfällen und so. Bemerkenswert war hier der Übergang ins neue Jahr. Die sehr familiäre Pousada veranstaltete spontan eine Silvesterparty mit tonnenweise Nascherei, Churrasco, Sekt, Live-Musik… für nur ca. 16 Gäste. Aber es war fantastisch, vor allem der Neujahrsmorgen mit den Brasilianern, mit denen ich (vermutlich) das reinste Portugiesisch sprach und bis zum Sonnenaufgang fröhlich beisammen war (obwohl ich Emily gegen 0 Uhr gesagt hatte, ich bin in 10 min im Zimmer – naja, Pünktlichkeit ist von jeher eine vermeidbare Eigenschaft gewesen). Aber dann – die andere Seite der Medaille – ging es mir so übel am ganzen nächsten Tag, wie noch nie (glaube ich), was nicht nur auf das fortschreitende Alter zu schieben war. Nach Genesung musste ich mir einen Monat Abstinenz von ungesunden Getränken verordnen.

São Luís und Atins in den Lenções Maranhenses (Nordosten)

Die Innenstadt von São Luís ist ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe und hat so ihre schönen, aber auch abgerockten Seiten und der Hinweis des Taxi-Fahrers, doch wirklich nur auf den größeren Straßen zu bleiben und spätestens bei Sonnenuntergang am Hauptplatz zu sein, wies auf eine andere Sicherheitslage hin. Tatsächlich tummelten sich dann auch hunderte von Menschen bei Sonnenuntergang auf dem zentralen Platz und legten die Corona-Bestimmungen auf ihre Art aus. Die allgegenwärtige Weihnachtsdekoration wirkte am 3. Januar bei 30° C gewohnt ungewohnt, aber die Menschen - und wir - waren glücklich.

São Luís war aber nur der Ausgangspunkt für unseren Trip ins kleine Örtchen Atins in den Lenções Maranhenses, der Nationalpark im Nordosten Brasiliens bestehend aus Dünen, Lagunen und unendlichen Stränden. Hier konnte ich eine meiner Wunschvorstellung und Motive für mein mittlerweile einjähriges Reitexperiment wahr werden lassen: Mit der ganzen Familie im Galopp durch die Dünen, mitunter freihändig und mit Blick übers Meer. Braucht man noch mehr Erklärungen? Unser Guide lud uns dann auch gleich zu sich in seine Hütte ein, spendierte uns im Kreise seiner Familie Obst und Água de Coco und gab uns einen kleinen und persönlichen Einblick ins Leben hier. Wenn man nämlich durch die dünn besiedelte Region streift und die einfachen Lebensverhältnisse sieht, tendiert man zu Mitleid ob der vermeintlichen Armut. Wie arrogant und ignorant. Ein Taxifahrer sagte dazu: „Wenn arm, dann ist es hier am besten auszuhalten“ und „Die Leute leben einfach, aber glücklich“. Den Eindruck hatten wir auch bei unserem Reiterlebnis und es ist wichtig, sich zwischendurch mal wieder selbst und seine Sicht auf die Dinge zu korrigieren. Ein Thema, was mich beschäftigt und wozu ich gerade „Buen vivir“ lese. Das „gute Leben“, welches Ideen und Lebensauffassungen der Völker der Anden und des Amazonas zusammenfasst und eine Alternative zur westlichen Kultur der „Entwicklung“ und des Fortschritts darstellt.

Um der Linie hier aber treu zu bleiben, schauen wir auch wieder auf die andere Seite des Medaillons. Wir lernten Peter Paffmann aus Deutschland kennen. Peter war einmal DPA-Journalist und arbeitete in den Krisenregionen schlechthin (Kashmir, Somalia, Afghanistan), führte unter anderem ein Interview mit Osama Bin Laden (den Wahrheitsgehalt konnte ich nicht überprüfen, aber er machte nicht den Eindruck, mit einer tollen Story etwas beweisen zu müssen) und hatte sich vor sieben Jahren überlegt, in den Nordosten Brasiliens zu ziehen. Er gründete mit einer Brasilianerin eine Familie, baute ein Haus und ein Restaurant. Übrigens vom Hausbau bis zum Kochen hat er sich alles selbst beigebracht und etwas richtig Hochklassiges auf die Beine gestellt. Aber was er über sein Leben in Brasilien und die Brasilianer dann erzählte, war so nicht zu erwarten. Seine Frau aus dem Dorf und seine zwei Kinder werden total geächtet, im Sinne von "spielt nicht mit den Gringo-Kindern". Sie hätte sich ja mit einem Gringo eingelassen, was uns seine Frau unter Tränen erzählte. Die Brasilianer seien Rassisten erster Klasse, Peter selbst wurde in den letzten 7 Jahren 14 Mal überfallen oder beraubt (er lebte für eine Zeit in der Nähe von Fortaleza) und die Jugendlichen selbst im kleinen Atins sind zum großen Teil schon mal mit Crack in Verbindung gekommen. Auch wenn sich bei den Erzählungen Frust mit Fakten mischen, klang es doch ziemlich desillusionierend und es legt sich ein kleiner Schatten übers Paradies.

Amazonas

Teil drei der Reise sollte dann auch der spektakulärste werden. Seit dem Geografie-Unterricht bei meiner damaligen und sehr geschätzten Lehrerin Frau Lieffertz hat der Amazonas-Regenwald einen Zauber geweckt und spätestens seit den Erzählungen meines guten Freundes im Geiste, Rüdiger Nehberg, war klar, diesen Ort mal sehen zu müssen. Manaus selbst war erwartungsgemäß eine typisch brasilianische Stadt aus viel Beton und sie wirkte überdies deplatziert in diesem riesigen Meer aus Wald rundherum. Die großen Highlights des Trips waren:

-          Die Lodge. Mitten im Wald mit Blick auf das Wasser, in dem unter anderem die berühmten rosa Delfine schwammen.

-          Ralf, unser Guide (übrigens portugiesisch "Haufi" ausgesprochen, wie auch Smartphone "Smatschifoni" ausgesprochen wird). Ein Mensch aus dem Wald. Den eher ortsunüblichen Namen habe sein Vater angeblich aus der Bibel, aber bis heute hat niemand einen Hinweis auf den heiligen Ralf gefunden. Er zeigte uns, wie man aus Baumharz Feuer macht, Kunstwerke und Regenschutze aus Palmen flechtet, Maden isst, Vogelspinnen anlockt, Krokodile mit der Hand fängt (aber nur bis zu 2 Meter große), sich mit Ameisen einreibt um geruchsneutral auf die Jagd zu gehen, barfuß nachts durch flaches Wasser stakt (Krokodile, Schlangen, Piranhas? Kein Problem!) und uns überdies die unerschöpfliche Vielfalt von Farben, Geräuschen, Gerüchen und adäquaten Nutzen des Waldes vertraut machte.

-          Nachts im Wald. In einem kleinen Boot waren wir auf Krokodilsuche. Wenn man plötzlich im Lampenschein sieht, dass ein 2,50 Meter Krokodil ca. 30 cm unter dem Boot entlanggleitet und eine Sekunde später mit einem riesen Platsch ein Weiteres ins Wasser springt, ist es zunächst unbehaglich. Wenn dann aber der Guide für eine halbe Stunde das Boot verlässt, durch das Wasser stakend fort geht und nur durch die Lampe aus der Ferne zu sehen ist, dann später sogar noch ein kleines Krokodil aus dem Wasser holt um es uns vorsichtig in die Hand zu geben, wirkt alles einen Hauch machbarer im Sinne des Überlebens – einen Hauch. Spannend waren auch die Geschichten von Legenden und Geistern aus dem Wald, die uns Ralf erzählte, während wir in den Hängematten einschliefen. Und dann das unglaublich laute und etwas gruselige Heulen der Brüllaffen, die lautesten Tiere der Welt, die man wahrscheinlich bis Grevesmühlen hören konnte (ja, es ist nicht das Heulen der Feuerwehrsirene, liebe Grevesmühlener).

-          Klettern auf einen Baum. Klingt erstmal nicht so spannend. Aber man klettert die 40 Meter selbst am Seil hoch und hat oben natürlich einen grandiosen Blick über diesen fantastischen Wald. Familie Brennecke war übrigens zwei Tage vorher auch hier und wurde nach dem Klettern nicht vom Taxi-Boot abgeholt, weil vergessen. Drei Stunden im Dunkeln in Gesellschaft von Krokodilen und Schlangen (man kann sie riechen) und nur ein kleines Feuerchen war ungewollt abenteuerlich.

-          Piranha-Angeln. Wir hatten sowas schon mal im Pantanal gemacht, aber hier waren die Piranhas 3x so groß und es gibt Sorten, die uns in 1 Minute auffressen könnten. Wenn man sieht, wie groß die Zähne sind und wie leicht sie einen Stock durchbeißen, klingt das glaubwürdig.

Die Kehrseite dieser fantastischen Urlaubsepisode ereilte uns dann bei der Rückkehr nach Manaus. Nach einer Woche ohne Verbindung zur Außenwelt ereilte uns die traurige Nachricht. Heiko, unsere erste Verbindung nach Brasilien und stets eine große Hilfe, aber auch ein strahlendes Licht für alle Kollegen, Freunde und Bekannte, ein in jeder Hinsicht und bei allen beliebter Mensch hat sich zum Schock aller völlig überraschend das Leben genommen und lässt nun seine Familie und viele ratlose Freunde und Bekannte zurück.

In all den oben geschilderten Situationen emotionaler Kontrasterfahrungen bietet sich immer eine kleine Chance, ein bisschen demütig gegenüber dem eigenen Lebensglück zu sein.

Kunst im Wald...

...mit Bagger drin


Parque Inhotim


Parque Inhotim II

Zusammen tanzen

Um der Nachfrage zu entsprechen gibt es Planungen,
das Weserstadion auf 1 Million Plätze zu erweitern

Tech-Taucher in einer Goldmine - oder James Bond Drehort?

Ouro Preto - schwarzes Gold

Daumen hoch

Alte Stadt, alte Autos

Hauskunst

Hier wurde "Tiradentes" hingerichtet, der erste
Freiheitskämpfer Brasiliens und damit ein Nationalheld.
Tiradentes heißt übrigens "Zahnzieher"...

Moderne Form der Ausbeutung

Idyllisch, pittoresk, selten in Brasilien...


...mit Hang zum Kitsch.

Da, ein Haus. Hier wohnte die Oma von Santos Dumont,
Flugpionier Brasiliens mit dem weltweit ersten Motorflug
mit einem Flugzeug der Welt.


Kunst aus Fahrradresten - wie auf dem Fusionfestival

Was für ein irres Durcheinander in diesem Museum

Saúde

Serra do Cipó - satte brasilianische Natur

...


Wunschleuchten an Silvester





Elbsandsteingebirge auf brasilianisch 


Beton mal anders - Belo Horizonte

Belo Horizonte?!

São Luís - die portugiesischen Fliesen machen die Stadt
hübsch und berühmt,...

...wenn auch nicht an jeder Ecke - das "Kaufhaus des Westens"
auf brasilianisch

Lichtspektakel

Lenções Maranhenses
Wüstenmenschen

Die Sonne weist den Weg

Kopfstand auf dem Wasser

Frisur

Meer - mehr nicht


Die Karawane zieht weiter

Im Galopp, freihändig und Juli  "Freiheit" schreiend

Die Karawane zieht immer noch weiter

umgesattelt

Schlaf, Hündchen, Schlaf

Ein Foto vom Essen? Naja, aber das hier war wirklich gut

Mad-Max Family-Edition

Meer von weit her

Meer von dicht her

Schwimmende Sitzgelegenheit, sitzende Schwimmgelegenheit


Mädchen am Fluss

Das berühmte Theater in Manaus

Das berühmte "Meeting of the waters"
von Rio Negro und Amazonas

Schulbusschiff im Amazonas

Absolut krokodilsichere Boote

Annitta, die Hausbrülläffin

Caipiranha, äh -rinha mit Gesche

Hausen im Wald mit Blick auf Delfine

Ralf macht Feuer mit Baumharz

Origami brasileira

Dickicht

Pilzkunst

Wurzelkunst

Lodge auf Stelzen. In der Regenzeit steigt das Wasser bis
über diesen Steg in der Lodge, also 12-14 Meter höher
als zur Trockenzeit.

Kernfamilie bzw. Wurzelfamilie

Brülläffin Pretinha klaut

Der Weiße Hai war gestern

Wie süß

Baum im Wasser

Die Kinder pflücken mit Rafael aus dem Wald Açaí.

Vater und Sohn planen eine Jagd
mit dem Blasrohr.
Es blieb bei der Planung.

Krombacher-Werbung im Amazonas

 

Warten

Warten

Und nach 5 Minuten: Erfolg!

Erfolg!

(kleiner) Erfolg!

Wir pflanzen Mangobäume

"Über den Wipfeln, muss die Freiheit...

wohl sehr gut, aber auch etwas schwindelerregend sein."

denkt auch das Töchterlein

Aber was die Mutter trotz Höhenangst schafft...

Die Kids mit einem Tapir vor der Tür

Zurück in die Corona-Realität - hier noch ohne Distanz