Sonntag, 19. April 2020

Meldungen aus Klein-Brasilien...

...denn seit der allgemeinen Schließzeit ist das fünftgrößte Land der Erde für uns ganz schön zusammengeschrumpft und beschränkt sich im Wesentlichen auf unser Haus und ein bisschen unser Viertel. Und wie wohl fast jeder Mensch der Erde haben auch wir unser kleines Päckchen an dieser Krise zu tragen. Der Besuch von Lenas Mutter und Bruder abgesagt, kein Urlaub am Meer, 20-Jahre-Abi-Feier abgesagt, unsere große Denkmal-Eröffnungsfeier abgesagt und wer weiß, ob unser Deutschlandbesuch im Sommer überhaupt stattfinden kann. Aber in Anbetracht des großteils der hiesigen Bevölkerung erscheinen diese Dinge dann wiederum als klassische und zu vernachlässigende First-World-Problems.  Denn 40 % der Leute hier arbeiten im informellen Sektor und haben keine Ersparnisse, die die Schließzeit auffangen könnten, das Gesundheitssystem ist natürlich nicht mit europäischen Standards vergleichbar und in der nahenden Katastrophe beweist der Präsident, dass er selbst die größte ist. Soweit wahrscheinlich nichts Neues für den nicht unwesentlich durch Medien geprägten Blick aus europäischer Perspektive. In Anbetracht dieser Lage gibt es aber auch Positives. 
Nicht nur ist hier noch keine Welt- bzw. Brasilienuntergangsstimmung zu spüren. Auch bietet die Krise vor allem im Privaten einige Chancen. Man ist viel dichter am Lernprozess der Kinder dran (auch wenn die erste Euphorie des Homeschooling so langsam verfliegt). Wir nutzen so gut wie alle Möglichkeiten, die unser Haus bietet. Von Sportevents, wie Bi- und Triathlon, Menschen-Menschärgeredichnicht, Fußball, Tischtennis, Trampolin, lokaler Zehnkampf usw.
Das Social-Distancing bietet für uns aber auch die Möglichkeit des Digital-Bonding, denn so viel und mit so vielen Menschen habe ich im ganzen letzten Jahr nicht gechattet. Und so führt es dann wiederum zu mehr Verbundenheit. Ob beim Menschärgeredichnicht der Kids mit Oma und Opa, Würfelspiel mit den Jungs, Geschichtenschreiben über Google-Docs oder auch einfach nur plaudern mit Freunden in Neuseeland am kleinen Osterfeuer mit Wein und Stockbrot (was im brasilianischen Spätsommer wirklich schön ist).
Auch die Atempause für die Umwelt ist hier zum Beispiel an dem fehlenden Grundrauschen und an der viel klareren Luft spürbar. So wunderten sich dann Freunde von uns, welcher See denn von ihrem Appartement plötzlich am Rand der Stadt zu sehen war, denn unsere Represa blieb in den letzten 1,5 Jahren für sie im Dunstschleier verborgen.
Unsere beiden neuen Familienmitglieder schaffen natürlich auch viel Abwechslung. Während die Katze in Würdigung unserer Lieblings-Padaria Nova Susy heißt und entspannt, aber auch durchaus agil und rauf-lustig dahinlebt, eher einer klassischen mitteleuropäischen Hauskatze ähnelt, und ihr Territorium trotz ihrer eher hageren Statur gegen fremde Katzen zu verteidigen weiß, ist ihr Bruder, unser Siam-Kater Rudolph (kurz: Rudy, port. ausgesprochen: Hudschi), mit dreifach geknicktem Schwanz, viel zu langen Hinterbeinen, aber wunderschönen saphirblauen Augen und einem eher neugierigem bis leichtsinnigem Charakter etwas anders gestrickt. So ist er neulich von der Mauer ins verwilderte Nachbargrundstück gefallen und musste mit Leiter durch unseren Alarmzaun hindurch gerettet werden. Ein paar Tage später war er dann gleich zwei Nächte weg und so langsam haben wir uns Sorgen gemacht. Eines Abends hörten wir ihn von der anderen Seite miauen. Dort ist nur die Mauer zum Nachbargrundstück 6 Meter hoch (krass, wie sehr man sich an diese martialische Verteidigung gewöhnt. Bei uns stehen wenigstens ganz hübsche Zierbananenpflanzen davor). Also stieg ich des nachts auf das Dach der Grillecke, um mit Taschenlampe mal über die Mauer zu schauen. Kaum hatte ich nur ein bisschen herübergeluschert, schlug mir auch schon ein wütendes Gebell eines riesigen schwarzen Hundes entgegen (ich glaube der hatte auch drei Köpfe und schien die Unterwelt zu bewachen, so wie der sich gebärdete). Der Hund kriegte sich gar nicht mehr ein und die Mission Katzenrettung musste abgebrochen werden. War vielleicht auch nicht die beste Idee, nachts in Brasilien mit Taschenlampe andere Grundstücke auszuspähen. Jedenfalls ging ich mit den Kids mit Katzenkorb und Katzenfutter bewaffnet am nächsten Tag einmal durch die Nachbarschaft. Die Nachbarn mit dem Hund sagten, es sei unwahrscheinlich, dass eine Katze im Garten säße, denn sie hätten drei Rottweiler (dann lag ich mit den drei Köpfen gar nicht so schlecht) und die hätten sich wohl die Katze brüderlich geteilt. Auch andere Nachbarn mit Hunden berichteten Ähnliches. Im letzten Haus, dass in Frage kam, lebte eine Familie mit 11 Katzen und 3 Hunden. Wir hinterließen Adresse und Telefonnummer und eine Stunde später klingelte es bei uns an der Tür und der Mann von der letzten Familie stand dort mit einem Foto auf dem Handy von unserem Rudy. Happy End. Und man hat durch diese durchaus aufregende Situation mal die Nachbarn kennengelernt, die man sonst wirklich nie zu Gesicht bekommt, weil sich das Leben ja nur hinter den Mauern abspielt. 

Vereinzelt kommt man mal raus. Natürlich ist das Reiten eine sehr willkommene Abwechslung. Juli kriegt seinen Samurai bereits in den Galopp, ich traue mich schon über 60-cm-Hindernisse zu springen (mit Pferd) und die Mädels - naja, sind uns Jungs enteilt und machen ihre Sache natürlich ganz gut, vor allem wenn Lena mit dem Dressurpferd "Brilliante" irgendwelche Kunststücke probiert und Emily bei einer Reit-Prova den ersten Platz gewinnt.
Aber auch das Joggen um den Laguinho ist schön. In diesem kleinen See hier um die Ecke haben wir doch tatsächlich ein kleines Jacaré, ein Krokodil, gesehen. Und am anderen Tag saßen zwei Tukane auf einem Briefkasten. Und wenn man dann noch den farbintensiven Himmel bei Sonnenuntergang hinter den Silhouetten der tropischen Pflanzenwelt sieht, muss man ehrlicherweise sagen: es gibt schlimmere Orte und Situationen für Quarantäne. Neulich haben wir in einer Kleingruppe eine Radtour gemacht, die kritische Masse von 5 Personen nicht überschreitend, was hier noch unproblematisch ist, gerade wenn der Katastrophenpräsident entgegen den Empfehlungen des Gesundheitsministers sagt, dass die Leute ruhig ihre kleinen Läden aufmachen sollten, was dann auch prompt für eins zwei Tage geschah. Besagter Gesundheitsminister wurde übrigens gerade entlassen. Glücklicherweise haben laut Gerichtsbeschluss die Gouverneure der Bundesstaaten jetzt das Sagen, sodass Mr. B. vielleicht Stück für Stück isoliert wird. Die Radtour jedenfalls führte uns entlang des Pinheiros, auch liebevoll Stinkefluss genannt, der um die innere Stadt von SP fließt und es in punkto Wasserqualität mit dem Ganges bei Neu-Dehli aufnehmen kann. Wenn die untergehende Sonne sich aber auf der durchaus chicen Büro-Skyline von Morumbi spiegelt und man lediglich aufpassen muss, dass man keine Kuh umfährt, die friedlich mit ihren Artgenossen inmitten der Metropole grast, weiß man, dass man in einer besonderen Stadt lebt.

So darben wir mehr recht als schlecht vor uns hin und hoffen dennoch, dass Corona Brasilien nicht allzu hart erwischt, denn Normalität ist bei all dem Positiven doch der neue Luxus.

Emily auf Troja


Sieg einer Reiterin eines kleinen Reitstalls in einer Favela
im Nobel-Club "Clube de Campo"

Rudolph - plant den nächsten Coup

Besondere Gartenabfälle

Rudy und Nova Susy

Stillleben: Schulhof im Spätsommer.

Spiderman beim Zahnarzt (mit Film schauen nebenbei)

Hundetrainer

Mitbewohner im Garten
Original
Phantomzeichnung


M-ä-d-n mit Oma und Opa (siehe Handy oben)

Videochat mit der Klasse

Geburtstagsfreuden

Erfrischung

Sport und Spiel


Osterfeuer


Sonne und Blume

Rudy's Rettung

Da hilft nur noch ein Zaun.

Superman auf Samurai


Die seltenen Momente außerhalb des Hauses