Sonntag, 11. Juli 2021

Brasilien-Deutschland-Brasilien-Deutschland-Brasilien-...

 Das klang schon ziemlich nach Jetset, als ich am Montag Anfang Mai noch kurz an meiner alten Schule in Hamburg war, mit den lieben alten Kollegen das erste Mal seit mehr als zwei Jahren sprach und mich schlussendlich wieder verabschieden musste, um den Flieger am Nachmittag zurück nach Brasilien zu kriegen. Die Welt ist für uns schon deutlich kleiner und Brasilien noch ein Stück mehr vertraute Heimat geworden. So schön die Zeit während unserer sehr spontanen dreiwöchigen Reise in Hamburg und Grevesmühlen trotz Corona auch war, so sehr freuten wir uns aber auch wieder auf das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wir bewegten uns in einer eigenartigen Gefühlslage. Weil wir in den drei Wochen Impfreise ja nicht in erster Linie zum Heimaturlaub waren, weil wir viel online arbeiten mussten, wegen der Zeitverschiebung vor allem nachmittags und abends, weil wir den ein oder anderen Gedanken zu unserer ungewissen Zukunft in Deutschland nach Brasilien bewegt hatten. Und weil eben die Rückreise nach Brasilien schon den Hauch von Routine hatte, die das Allzeit-Hoch dieses Abenteuers für einige Augenblicke merkwürdig alltäglich erscheinen ließ. 

Umso mehr hilft da ein Blick von außen auf das Leben hier. Was eignet sich da mehr, als die gemeinsame Alteritätserfahrung durch Besuch aus Deutschland. Meine Eltern waren zum dritten Mal hier und obwohl wir keinen großen Urlaub machen konnten, bot sich doch ein Potpourri aus Abwechslung im alltäglichen Leben eines temporären Paulistanos (oder "Sampas", wie die Bewohner dieser Stadt hier auch genannt werden). Von Ausblick von Brasiliens höchstem Hochaus über das Meer aus Häusern bis zum Hügel in Santos* mit Blick auf das Meer aus Wasser. Von bodenständigen Radfahren an der Represa und kleinem Bierchen und Burger in der Lanchonete um die Ecke bis hin zum dekadent anmutenden Tennis, Golf, Reiten, Essen in der Rooftop-Bar und Sportboot auf dem See. Obwohl die letzteren Beispiele in den hiesigen Kontext eingebettet werden müssen. Denn dem Reiten und Golfen haftet eher in Deutschland das Privilegierte an, während es hier nicht zwingend der Elite vorbehalten ist, schon gar nicht dort, wo wir diese Sportarten praktizieren. Allerdings gehören wir hier ehrlicherweise zur privilegierten Schicht, also komme ich jetzt aus der Nummer nicht so richtig raus... Aber wir versuchen, nicht nur Nutznießer zu sein. Unsere vielleicht wichtigste Aufgabe ist es hier, neben Aufruf und Handeln zum Spenden vor allem die privilegierte Jugend unserer Schule für die wichtigen Fragen des Lebens zu sensibilisieren (Nachhaltigkeit, Demokratie, Diversität) und sie nicht mit Scheuklappen in die nächsten Führungspositionen von Unternehmen zu katapultieren. So machen wir gerade Veranstaltungen im Juni zum "Queeren Stolz", oder lassen im Zuge unseres Denkmals Zeitzeugen aus Diktaturen zu Wort kommen. Die Welt retten wir damit nicht, aber Veränderungen beginnen im Kopf und vielleicht ist der Effekt irgendwann in der Zukunft sichtbar...

*Santos war eine überraschend tolle Ausflugserfahrung. Ein schöner Strand in 1,5 Stunden Entfernung, gutes Essen, Kultur, ab und zu mal ein Containerschiff, das gegen den Kai knallt. Und dann die Architektur: Die brutale Bebauung zwischen den 40er und 70er Jahren ist nicht schön, aber ein Zeichen der Zeit und überdies lustig. Denn viele Hochhäuser am Strand sind schlichtweg schief, richtig schief. Zu schnell und nachlässig gebaut, abgesackt, Touristenattraktion. Irgendwie auch clever, wenn es so gewollt war.

Das Maritime ist ohnehin gerade unser Thema. Vor knapp einem Jahr haben wir, dass heißt Steffen, Nicole und ich damit angefangen, einen Motorbootführerschein zu machen. Die praktische Prüfung bestand darin, das Boot bei 2 Knoten einmal nach rechts und einmal nach links zu lenken, wie das in der Seefahrersprache heißt. Fehlte nur noch die Theorieprüfung. Nicole ist einmal durchgefallen, weil sie bei ihrem Termin nicht in Brasilien war. Knallharte Regeln. Unsere Prüfung war vor zwei Wochen. Also 9 Monate Lernzeit brutto (2 Wochen netto). Einigermaßen vorbereitet fuhren wir also nach Santos zur Theorie-Prüfung. Und dann? Hatten wir auf dem Hinweg schon Ideen für unsere Kapitäns-Fantasie-Uniform, waren wir auf der Rückfahrt doch ziemlich desillusioniert und wir freundeten uns mit dem Gedanken an, allenfalls als Bordratten in See zu stechen. Warum? Weil wir überhaupt nicht durchgesehen haben. Von den 40 Fragen habe ich vorher beim Üben vielleicht drei schon mal gesehen. Welche Seegesetze in welchem Jahr erlassen wurden und wie oft ich bei einer Beinamputation den Verband wechseln muss? Keine Ahnung. Schon gar nicht auf Portugiesisch. Während die ca. 60 anderen Prüflinge um uns herum  nach durchschnittlich 20-40 Minuten gutgelaunt ihre Bögen abgaben, saßen die beiden deutschen Ahnungslosen immer noch bei ihrem Ratespiel und stocherten im Küstennebel. Zaghafte oder auch offensichtliche Versuche des erweiterten Hilfeersuchens bei Steffen wurden von ihm eiskalt abgeblockt - was für eine Kameradschaft auf dem untergehenden Schiff... Steffens Begründung im Nachhinein: "Ich hab alles bei dir abgeschrieben und wollte dich nicht verunsichern." 

Eine Woche später dann eine Spam-SMS, die ich zufällig nicht ignoriert habe: "Ihr Dokument ist zur Abholung bereit!" WAAAAAAAS? Diese Prüfung bestanden? Wir sind "Arrais Amador"? Entweder wir sind Quotentrottel, die in der Pandemie ein Freilos bekommen haben, oder wir sind doch richtig gut (der Leser mag selbst, aber fair urteilen). Irre! Just an diesem Tag wollte ich unserem etwas merkwürdigen Theorielehrer (der den Namen eigentlich nicht verdient) mit der schlechten Vorbereitung für uns konfrontieren und dann das. Wie wir eine weitere Woche später zufällig feststellen mussten, war dieser Vorwurf zudem nicht ganz gerechtfertigt, denn in dem Lern-Skript, was er uns gegeben hatte, stand eigentlich alles drin. Man hätte nur mal über Seite 3 hinaus lesen sollen. Aber so sind die Lehrer: Die Schüler vollquatschen, wenn sie Aufgaben und Material nicht richtig bearbeiten und selbst? Aber die Quintessenz lautet: Immer eine handbreit Wissen unterm Kiel!   

Oder eine handbreit Luft unterm Huf, wie wir Springreiter sagen. Lena konnte sich beim letzten Turnier für ihre scheppernde Niederlage (oder wie man auch sagen kann: sie hatte horsehoch verloren) gegen mich im ersten Turnier revanchieren, auch weil mein geliebter Hengst "Blackout" seinem Namen am letzten Hindernis alle Ehre machte. Emily hatte mich natürlich bei dem Turnier gewohnt locker in die Tasche gesteckt und auch Julius sprang mit seinen 8 Jahren fehlerfrei durch den Parkour. Und wie er noch dazu beim Tambor um die Tonnen rast, Wahnsinn. Eine weitere Reiterfahrung haben wir auf einer wunderschönen Fazenda in der Nähe von SP gemacht. Polo. In Europa nicht gerade als Breitensport bekannt, ist es hier doch ziemlich populär, da die Gaúchos in Argentinien und Südbrasilien einfach mal Platz und genügend Pferde haben. So, aber nun genug aus der Pferdewelt...

Durch die Kaffee- und Maisplantagen. Die Fazenda ist
eine der ältesten der Region und eine der wenigen,
die nie Sklaven gehalten haben


Das örtliche Polo-Team beim Training.

Neues, aber hoffnungsloses Talent.

Aber vielleicht auf dem Cover der Fachzeitschrift "Polo 2000".

Unsere kleine Nova ist leider verschwunden. Sie war schon
immer ein Freigeist und macht vielleicht gerade irgendwo Urlaub.

Pinheiros, auch "Stinkefluss" genannt und eine der zwei großen
Flüsse - und Sünden - in SP. Vorne links ist ein Müllteppich
vor einem Auffangnetz.  

Mucke mit unseren brasilianischen Freunden
Mathias, Tatiana und mittendrin Juli.

Tucane vor der Haustür.


Geburtstagsparty

Impfzentrum Hamburg - ein Ort der Hoffnung.


Heimat, manchmal so schön...

... manchmal auch nicht.

Retrospektive am 1. Mai.

Das war ein großes Hallo, als bei Demmis 40. Geburtstag plötzlich
und völlig unerwartet die brasilianische Variante vor der Tür stand.

Beachclash bei 10 Grad mit den Beckmanns.

Das Wandern ist des Möllers Lust.

Homeschooling für Lehrer.

Homeschooling für Rentner.

Mitteleuropäische Landschaft im Frühling.

Mit Olli und Bahar in Berlin.


Mitteleuropäische Hauptstadt im Frühling.

Wir feiern die Impfung irgendwo in Schleswig-Holstein.



Freud und Leid im Fußball.

Analyse mit Emily und Pia.

Lena bei der "Baby-Höhe" 60 cm und später dann bei 80 cm.

Großeltern in Kontemplation.

Juli harmlos beim Ostereiersuchen...


... und in Action beim Tambor



Unser Denkmal mit neuer Lichtinstallation. Es wirkt
ein bisschen wie der innerdeutsche Grenzstreifen.

... aber es gibt ja noch die bunte Seite der Demokratie.


Motorbootführerscheinprüfung - nicht gut gelaufen, oder?
 

Da ist endlich das Ding!
Zusammen mit unserem starken Ausbilderteam...

Golf

"Opa Bernd möchte aus dem Obstparadies abgeholt werden."

"Hier Papa, halt mal. Ich muss ins Wasser..." (Santos)

Hamburg Süd - unser Reeder!

Grüße vom Hafen Hamburg... äh Santos

Abendstimmung I

Abendstimmung II

Über Santos - echt, keine Kulisse.

Aber von Nahem betrachtet sieht man die mutige
Architektur des "Krummschief"

Streetart

... und Altstadt, immerhin mal der wichtigste
Kaffeehafen der Welt gewesen

Viele Fußballversuche im Geiste von
Pelé in seiner Wirkungsstadt Santos...

... aber nur ein Champion.


Fußball satt zu Zeiten von EM und Copa America...


... aber auch viele schmerzliche Erinnerungen
aus brasilianischer Sicht


Oma Kerstin und Juli auf der Represa...

... und mit Capri-Fischern an der Represa.

Radtour durch unser Viertel