Als wir neulich am Samstagmittag eine größere Hauptstraße
entlangfuhren, verlangsamte sich für einen kurzen Moment der Verkehr. Zunächst
dachten wir, es sei ein Verkehrsunfall. Beim langsamen vorbeifahren dann aber
sahen wir, dass ein Auto mit offenen Türen auf dem rechten Fahrstreifen dastand
und davor ein Polizist gerade einen Mann im Schwitzkasten niederrang. Daneben
standen zwei weitere Leute (wahrscheinlich auch aus dem Auto) und ein weiterer
Polizist, die ziemlich unbeteiligt danebenstanden. Insgesamt wirkte die Szene
ziemlich grob und übergriffig, aber es machte den Eindruck, als sei dies nicht
ungewöhnlich. Generell ist Gewalt hier ein anders gefühltes und gelebtes Thema.
Wenn man durch die Stadt fährt fällt natürlich auch sofort auf, dass das
private Leben streng getrennt von den öffentlichen Straßen stattfindet. Hohe
Mauern, Kameras, Stromzäune, Sicherheitspersonal ist allgegenwärtig. Selbst in
unserem Miethaus gibt es einen Stromzaun und an der nächsten Straßenecke sitzt
ein Wachmann, dem man ein bisschen Geld gibt, damit er die Einfahrten der
anliegenden Häuser beobachtet.
Im Zuge des Amoklaufs in São Paulo war ebenfalls
Interessantes feststellbar. Zunächst hat man glücklicherweise wenig Erfahrung
mit solchen Vorfällen in Brasilien. Das Medienecho war groß und sämtliche
Fußballspiele wurden mit Schweigeminuten begonnen. Im Gespräch mit Schülern
zeigt sich neben der Betroffenheit aber auch immer wieder die Einstellung, man
müsse sich ja gegen solche Täter schützen können, indem man sich selbst
bewaffnet. Wasser auf die Mühlen der hiesigen Regierung. Und wenn man diese
Condomino-Gesellschaft weiterdenkt, müsste man statt die Ursachen zu bekämpfen,
sich nur noch mehr abschotten, sodass am Ende Reichen- und Armenghettos
existieren. Quasi Distrikte wie bei den Hunger Games.
Das ohnehin schon angeschlagene Sicherheits-Image
Südamerikas wird durch solche Aktionen nicht gerade aufpoliert. Nun ist es aber
ähnlich wie eine Reise nach Australien. Zunächst hat man im Blick, dass es von
den 10 giftigsten Tierarten der Welt allein 8 in Australien gibt. Und wie viele
Menschen dort von Haien und Krokodilen attackiert werden - Hallelujah. Dann ist
man dort und es springen einen nicht sofort die Giftschlangen und Quallen an.
Wenn man aufmerksam ist und ein paar Regeln beherzigt, dann funktioniert ein
Leben ziemlich gut – so auch hier. Ich will die erhöhte Gefahr hier in Brasilien
gar nicht kleinreden, aber es wird auch viel geschürt.
Das Condomino als Ort
der physischen Sicherheit hat sicher seine Daseinsberechtigung und existiert
auch nicht ohne Grund. Es ist aber auch Ausdruck einer anderen sozialen
Schicht. Schaut her, ich habe (endlich / schon immer) mehr als ihr und muss
mich deshalb vor euch schützen. Irgendwie nachvollziehbar, aber auch paradox,
wenn man seinen neuen Wohlstand dann doch auch nicht zeigen kann, sondern
hinter Mauern verbirgt. Eine Art selbstverschuldete bzw. -gewollte Unfreiheit.
Das wird sich auf absehbare Zeit auch wohl nicht ändern…